Michael Krassowizkiy
Padua
Nachdem ich mein Bachelorstudium im Sommer 2022 an der Technischen Universität München abgeschlossen hatte, habe ich mich dazu entschieden, mein ganzes Masterstudium im Ausland an der Universität Padua zu absolvieren. Das Auslandsstudium habe ich dann im Herbst desselben Jahres aufgenommen. Seit Anfang meines zweiten Studienjahres in Padua, werde ich in diesem Unterfangen von der Alexander Spohn-Stiftung unterstützt. Und im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass es besser läuft, als ich es mir hätte erwarten können.
Meine Gründe für dieses Auslandsstudium waren zweierlei.
Erstens, wollte ich mich nach meinem etwas allgemeiner gehaltenen Ingenieursstudium im Bachelor spezialisieren. Genauer gesagt im Fachbereich der Automatisierungs- und Regelungstechnik. In Deutschland wird dieser Fachbereich in der Regel als Vertiefungsrichtung im Studiengang Elektro- und Informationstechnik angeboten. Da ich aber schon relativ entschlossen von meiner Vertiefungsrichtung war, schien mir ein eigens zugeschnittener Studiengang besser geeignet zu sein.
Wäre die Spezialisierung mein einziges Kriterium gewesen, hätte ich selbstverständlich auch in Deutschland bleiben können, und wäre auch in einem wunderbar passenden Studiengang in Stuttgart angenommen worden. Jedoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass es mir persönlich schwerfiel während des Studiums in einer Großstadt ein soziales Leben aufzubauen. Die ersten Semester im Bachelor eines Ingenieursstudiums sind anspruchsvoll und zeitintensiv, sodass der soziale Aspekt des Studiums gezwungenermaßen in den Hintergrund gerät. Als ich dann gerade die schwierige Phase des Studiums überstanden hatte, fing die Corona-Pandemie an. In diesen Umständen waren für mich die großen räumlichen Distanzen zwischen Kommilitonen besonders hinderlich, um Kontakte zu knüpfen. Gleichzeitig habe ich bei meinen Freunden, die in kleineren Universitätsstädten wie zum Beispiel Tübingen studieren, gesehen, dass es viel einfacher ist, in Kontakt mit anderen Studierenden zu kommen.
Zusammengefasst, wollte ich neben der gewünschten fachlichen Spezialisierung im Master es mir erleichtern, am sozialen Aspekt des Studiums teilzunehmen, indem ich nach einer kompakteren Studentenstadt Ausschau hielt.
Da es diese Kombination so nicht in Deutschland gibt, richtete sich mein Blick ins europäische Ausland. Ich wurde fündig in Padua. Diese hat im gewünschten akademischen Fachbereich einen guten Ruf, was man daran erkennen kann, dass zahlreiche Alumni des entsprechenden Masterstudiengangs in Padua überproportional in begehrten Universitäten als Doktoranden oder Post-Docs vertreten sind. Der Masterstudiengang für den Fachbereich wurde kürzlich modernisiert und die Lehre komplett auf Englisch umgestellt. Darüber hinaus ist Padua eine klassische Studentenstadt, was man bei einem Blick auf die Einwohnerzahlen sehen kann: Knapp ein Drittel der etwa 200.000 Einwohner sind Studierende. Dieser erste Eindruck wurde mir dann auch von Alumni aus Padua bestätigt, mit denen ich vor meiner Entscheidung gesprochen habe. Dass der Studienort der meinen Kriterien entsprach, in Italien liegt, war letztendlich ein (glücklicher) Zufall.
Da jetzt meine Erwartungen und Hoffnungen, die ich im Vorfeld zum Auslandsstudium hatte, klar sind, kann ich diese jetzt mit meinen Erfahrungen abgleichen. Ich gehe zunächst auf die Lehre ein.
Fachlich gesehen ist die Lehre in Padua theoretischer angelegt. Die mathematischen Module sind formal rigoroser, als ich es von meinem Ingenieursstudium in Deutschland gewohnt war. Im Allgemeinen liegt der Fokus der Lehre liegt in der Regel mehr auf dem inhaltlichen Verständnis des Stoffes, als auf die Einübung des Lösens bestimmter Aufgabentypen. In meinem Bachelorstudium empfand die Prioritätensetzung in der Lehre genau umgekehrt. Diese Unterschiede kann man gut an den Prüfungen erkennen. So bestand eine Prüfung in Deutschland für mich in der Regel aus einer Aneinanderreihung von Aufgaben, dessen Lösungsschemata man während des Semesters gelernt hat. In Prüfungen in Padua, wird gerne nach Herleitungen oder Beweisen von wichtigen Resultaten gefragt. Klassische Aufgaben wie ich es von Deutschland gewohnt sind weniger stark ausgeprägt. Demnach ist auch das Lernverhalten eine anderes: Anstatt nochmal eine Altklausur durchzurechnen, ist es besser seine Zusammenfassung nochmal durchzugehen.
Ein weiterer Unterschied, der eventuell auch die vorherige Beobachtung besser erklärt, ist, dass man weniger Module pro Semester absolviert. In Padua haben alle meine Module entweder 6 oder 9 ECTS. In Deutschland hatten meine Module in der Regel 5 ECTS. Das entspricht etwa 4 Examen pro Regelsemester in Italien, und hingegen 6 Examen pro Regelsemester in Deutschland. Oder anders gesagt, man hat in Italien mehr Zeit um sich in einzelne Module zu vertiefen. Das zeigt einerseits, dass man in Italien mehr Zeit hat sich im Lehrstoff zu vertiefen, andererseits dass in Deutschland deutlich mehr Lehrstoff durchgegangen wird.
Mir persönlich liegt dieses Lehrsystem besser. Erstens wollte ich eine theoretischere und mathematisch rigorose Ausbildung in meinem Master im Vergleich zu meinem Bachelorstudium. Zudem habe ich es in meinem Bachelorstudium immer schade gefunden, dass ich nicht die Zeit hatte, mich in den Lehrstoff in dem Maße zu vertiefen in dem ich es gewollt hätte.
Gleichzeitig hatte ich keine Probleme mein Grundwissen aus meinem Bachelor an die gehörten Mastermodule anzuknüpfen. Insbesondere bin ich, weil mehr Lehrstoff in derselben Zeit in Deutschland bearbeitet wird, an ein höheres Arbeitspensum gewöhnt und kann mich gut organisieren. So hatte ich im ersten Mastersemester, welches hier als besonders arbeitsintensiv gilt, im Gegensatz zu einigen Kommilitonen keine großen Probleme mitzukommen.
Als Abschluss zur Lehre erwähne ich folgendes. In Deutschland galt ich als guter Student. Hier in Italien bin ich einer der Jahrgangsbesten. Das zeigt, dass ich mich im italienischen Lehrsystem wohlfühle, aber auch, dass ich in Deutschland eine grundsolide Ausbildung genossen habe.
Ein weiter Aspekt, den ich erwähnenswert finde, ist, dass nach meinem Empfinden die Professoren in meinem Masterstudium in Padua nahbarer sind, als ich es von meinem Bachelorstudium in Erinnerung habe. Das liegt natürlich auch daran, dass Masterstudiengänge im Allgemeinen, sowohl in Deutschland als auch in Italien, kleiner sind als Bachelorstudiengänge und somit der Verteilungsschlüssel besser ist. Meiner Meinung nach liegt es aber auch am Lehrsystem. So ist es wahrscheinlicher, dass ich mehr Nachfragen stelle und Professoren anschreibe, wenn ich mich in ein einzelnes Modul vertiefen kann. Außerdem sind in Padua mündliche Prüfungen üblich, die auch gerne etwas länger dauern. Im Gegensatz dazu waren alle meine Prüfungen in Deutschland rein schriftlich. Selbstverständlich, ist es dann einfacher, mit Professoren in Kontakt zu treten, denen man in so einer Prüfungssituation persönlich gegenübergetreten ist. Dieser Aspekt ist auch im Laufe meines Studiums wichtiger geworden, da ich mittlerweile mich dazu entschlossen habe eine Promotion nach meinem Master Studium anzustreben.
Meine Planung für den Rest des Studiums sieht aktuell wie folgt aus. Nachdem ich meine letzten Prüfungen geschrieben habe, schließe ich mein Masterstudium mit meiner Masterarbeit, voraussichtlich im Bereich der datengetriebenen Regelung unter Aufsicht von Prof. Maria Elena Valcher, ab. Danach bewerbe ich mich um Doktorandenstellen in deutschsprachigem Raum. Da ich letzten Endes nach meiner Promotion in die Industrie gehen möchte, sind dort die besseren Wirtschaftskontakte und auch finanzielle Ausstattung der Universitäten mit ausschlaggebend. Durch die theoretisch solide Ausbildung in Padua, meinen guten Studienleistungen und den ausgezeichneten akademischen Kontakten von meinen Professoren in meinem Fachbereich, bin ich auch zuversichtlich für eine attraktive Doktorandenstelle angenommen zu werden.
Aus fachlicher Sicht war das Auslandsstudium also für mich eine gute Entscheidung. Aber das war ja nicht der einzige Grund für mich nach Padua zu kommen. Neben dem Fachlichen, habe mir von Padua erhofft besser in die soziale Seite des Studierens einzufinden als es für mich in München der Fall war.
Ich kann eindeutig sagen, dass es für mich einfacher war in Padua Anschluss zu finden. Es ist alles fußläufig erreichbar: die Uni, die Innenstadt und die Studentenkneipen. Die üblichen Orte, wo Studenten sich abends aufhalten sind immer dieselben und deshalb auch immer gut besucht. Wegen der kurzen Distanzen, kann man sich quasi jederzeit spontan Entscheiden mit Freunden auszugehen. In München war ich auf die S-Bahn angewiesen, die erst mal eine halbe Stunde braucht um in die Innenstadt zu kommen. Es werden auch durchgängig Events von Studenten für Studenten veranstaltet. So ist zum Beispiel das Erasmus Netzwerk in Padua sehr aktiv, was für ausländische Studierende besonders interessant ist.
Der wichtigste Grund aber, wieso ich in Padua gut Anschluss gefunden habe, ist das Wohnheim, in dem ich lebe. Dieses ist Teil des „Collegio of Merito“ Netzwerkes. Dies sind staatlich geförderte Universitätswohnheime, die für leistungsstarke Studenten neben einem Platz zum Schlafen und Lernen eine Reihe von persönlichkeits-fördernden Kursen und Workshops anbietet. Als Nebeneffekt entsteht so ein Gemeinschaftsgefühl unter den Studierenden im Wohnheim, sodass man nach wenigen Wochen jeden beim Namen kennt. So hatte ich das Glück in so ein Wohnheim in der Innenstadt von Padua aufgenommen zu werden, dass jederzeit etwa 50 Studierende beherbergt. So hatte ich schnell einen sozialen Referenzpunkt, und ältere Studierende konnten mir Orientierung bieten. Natürlich entstehen so auch viele Freundschaften, und da ein Großteil der Wohnheimbewohner Italiener sind fängt so an die italienische Kultur besser kennenzulernen. So zum Beispiel haben kürzlich zwei von meinen Wohnheimmitbewohnern aus Kampanien, eine kleine Gruppe von Freunden, mich eingeschlossen, zu sich nachhause für einen Wochenendausflug eingeladen.
In der Summe fiel es mir wegen der oben genannten Gründe viel leichter am sozialen Leben teilzunehmen, als in meinem Bachelorstudium in München.
Eine Einschränkung, die ich jedoch bezüglich der sozialen Anschlussfähigkeit machen würde, ist die Sprache. Erstens, sprechen bei weitem nicht alle Italiener (auch meiner Generation) Englisch, oder sind nicht selbstsicher genug ihr Können anzuwenden. Aber auch wenn man in Freundesgruppen mit Italienern unterwegs ist, die sicher im Englischen sind, wird oft nach ein paar Minuten ins Italienische gewechselt. Dies ist ungefähr das Gegenteil zu dem, was in Deutschland passiert, wo, wie mir von italienischen Studierenden mit Auslandserfahrung in Deutschland bestätigt wurde, bei dem Hören eines Akzents oft direkt Englische gewechselt wird. Das wird natürlich als Geste der Höflichkeit empfunden, allerdings ist es auch nicht zielführend, wenn man versucht eine neue Sprache zu erlernen. Die italienische Einstellung ist hingegen nicht besonders entgegenkommend, aber dafür wird man lernt man die Sprache. Dieser Stellenwert der Sprache spiegelt sich auch zum Beispiel in der gehörten Popmusik wider, die von italienischen Künstlern dominiert wird.
Das hat zur Folge, dass man gezwungenermaßen die Sprache erlernen muss, um das meiste aus dem Auslandsaufenthalt in Italien herauszuholen. Padua ist immer noch lebenswert, wenn mein kein Italienisch spricht, was daran liegt, dass es eine beachtliche Anzahl an internationalen Studierenden gibt, jedoch wird es eher weniger zu einem kulturellen Austausch kommen. Ich persönlich war in einer Wohnsituation, wo ich einfach mit italienischen Wohnheimmitbewohnern ins Gespräch kommen konnte. Darüber hinaus kam ich auch mit der Motivation sozial Anschluss zu finden. So konnte ich mir schnell die Sprache aneignen und beherrsche diese inzwischen ganz gut. Jedoch kenne ich genug internationale Kommilitonen, denen das nicht gelungen ist.
Eine letzte kulturelle Beobachtung, die ich mitgebe, ist das andere Zeitverständnis hier in Italien. Einerseits kommt man (zumindest bei privaten Treffen) grundsätzlich nicht vor einer Viertelstunde nach dem vereinbarten Zeitpunkt an. Was, wenn man anderes gewohnt ist, vor allem in professionellen Umgebungen, unverständlich sein kann. Andererseits verspüre ich hier eine höhere Gelassenheit. Man nimmt sich hier die Zeit, um sich zu entspannen, und holt bei Bedarf an einem späteren Zeitpunkt auf, was man liegen gelassen hat. Wenn mal was nicht funktioniert, ist es nicht das Ende der Welt. Im Zweifel macht man eine Kaffeepause, mit der Überzeugung, dass sich schon eine Lösung finden wird. Zumindest habe ich hier gelernt, Dinge mit mehr Gelassenheit anzugehen, was ich gerne mit zurück nach Hause mitnehme und mir auch nerven während meines Bachelorstudiums gespart hätte.
Insgesamt bin ich sehr froh und dankbar darüber, dieses Auslandsstudium machen zu können, welches ich mithilfe des Alexander Spohn-Stipendiums der DAAD-Stiftung realisieren konnte. Neben zahlreichen schönen persönlichen Erfahrungen gibt mir dieses einen optimalen Grundstein für eine zukünftige Promotion.